Freitag, 8. Dezember 2006

Jakob

Weißt du noch Jakob, wie der Lärm langsam weniger wurde? Du hast auch aufgehört zu reden und aus dem Fenster geschaut. Wir hatten uns an den Händen gehalten, die ganze Zeit schon, draussen war es Nacht geworden. Du hast auf deine Unterlippe gebissen, Jakob und mich damit beunruhigt, weil es mich erinnerte an den Moment, als du das schon einmal gemacht hattest, solange bis du geblutet hast. Aber in dem Moment warst du weit weg vom blutig beißen, das habe ich später erkannt, als ich Fotos aus den verschiedenen Sommern verglich. Nicht nur deine Frisur war anders, die Haare länger, strubbeliger, nein, auch dein Gesicht hatte sich verändert. Es war ein wenig ernster geworden, es hatte eine Falte auf der Stirn bekommen, es war vor allem ehrlicher.
Ich wusste nicht, was ich sagen sollte, Jakob, in dem Moment als der Lärm weniger wurde und du auch. Ich hab nur deshalb auch geschwiegen, aus der Angst, dass alles noch mehr verschwindet, dass du nie wieder anfangen würdest zu reden. Du hieltst meine Hand plötzlich nicht mehr so fest, ich erinnere mich genau. Ich hab dich angesehen und du hattest deine Augen geschlossen. Es hätte ewig so weitergehen können, nie hätte ich mich zu bewegen gewagt, so lange du selbst stillstandest.
Es blieb mir nichts anderes übrig, dich die ganze Zeit anzustarren, später einmal hast du mich danach gefragt, da war dein Haar wieder kurz geschnitten und die Falte noch tiefer geworden. Ich hab mit der Wahrheit geantwortet und du hast genickt.
Jakob, es war September damals, es war September wie es nie wieder einer sein sollte. Im Sommer zuvor warst du aus dem Zug gestiegen und ich hatte dich willkommen geheißen, wusste, dass du diesmal bleiben würdest. Dass sie gesiegt hatte, endlich gewonnen und dich nicht mehr loslassen würde. Dass du nicht mehr das Weite suchen würdest und damit auch nicht mehr sie. Dass alles am richtigen Platz war nun. Du, Jakob und sie, die Liebe. Die Liebe mit den braunen Locken, die du dir ins Herz gemeißelt hast, das hast du mir einmal erzählt und ich habe gelacht. Ich hab dir eine Tasche abgenommen, da warst du noch nicht mal wirklich aus dem Zug heraußen und deine Hand gedrückt.
Irgendwann, Jakob, da hast du mir einmal die Stirn geküsst, ich glaube, es war einfach aus Verzweiflung und ich habe die Augen geschlossen und nicht gewagt mich zu bewegen. Wie in dem Moment, als der Lärm weniger wurde und du auch. Dass du daran denken würdest, wie ihr euch kennen gelernt habt, wie ihr euch immer weiter kennenlerntet und sicher ward es würde immer so weitergehen. Daran, dass sie weiche Hände hatte und wie sie gesagt hatte, dass Eiszapfen das beste am Winter seien. Warum sie dir das erzählt hat, das wusstest du nicht mehr, als du mir davon berichtestest. Dass das auch nicht wichtig sei, Jakob, hab ich damals geantwortet und dir ein weiteres Glas Wein eingeschenkt. Und du hast deinen Kopf gewiegt und bist aufgesprungen, stehengeblieben und hast zu lachen begonnen.
Wir haben uns immer ohne Worte verstanden, Jakob, ich weiß gar nicht, woher das kam. Ich weiß nur, dass ich dich begehrte, vom ersten Moment an. Das meine ich nicht körperlich, nie wäre mir der Gedanke gekommen, mich zwischen euch zu stellen, nie hätte den Mut gehabt mich dir zu nähern. Ich meine damit nur, dass ich süchtig war nach deinen Worten und deinem Handeln. Dass ich mir nichts anderes vorstellen konnte, als dir stundenlang zuzuhören und dich im selben Zimmer zu wissen. ‚Was wären wir nur anderswo’ , hast du einmal zu mir gesagt. Da war es kalt gewesen und du noch weit weg von dieser Stadt, aber bereits mit der Liebe im Herzen, die dich hierherbringen würde, wo auch ich immer war, wie wir uns gefreut haben, dass alles so kam, wie es kommen musste. Du und die Liebe in der Stadt und du und ich in der selben.
Erinnerst du dich, Jakob, als ich dich nach der Eifersucht gefragt habe und du nur den Kopf geschüttelt hast. Dass es die nicht gibt, dass die Frau die du begehrtest, es verstehen würde, dass es keinen Grund für die Frage gebe, hast du geantwortet und ich habe dir nicht geglaubt oder nicht glauben wollen. Habe von der Wichtigkeit der Emotionen geredet und bald eingesehen, dass ich im Endeffekt doch keine Ahnung davon hatte. Das hast auch du bemerkt und gelacht, mich vor dem Spiegel gezerrt und dort stehenlassen. Ich habe das nie ganz verstanden.
Jakob, Jakob, was waren das für Zeiten. Die Nächte voller Tee und die Tage ohne dich. Sie hatte weiche Haut, hast du mir erzählt und dass sie beim Weinen glucksen würde. Dabei hast du Schlangenlinien in die Luft gezeichnet und mich nicht angesehen. Und mir brannte eine Frage auf den Lippen, die ich doch nie zu stellen getraute.
Bis es irgendwann auch zu spät dafür war, weil der Lärm schon da war und irgenwann nicht mehr und du mit ihm verschwandest, deine Augen leer wurden und du auf die Lippen gebissen hast. Da habe ich dich eben angesehen, die ganze Zeit und ich habe mich immer noch das gleiche gefragt, aber die Zeit in der Frage hatte sich geändert und vor dem Fenster kreischte eine Katze. Das werde ich nie vergessen.
Und dann hast du dich doch wieder bewegt und ich dich immer noch angestarrt. Du hast meine Hand losgelassen und dich an die Wand zwischen den Fenstern gelehnt. „Ist es jetzt vorbei?“ hast du gefragt und ich habe mit den Schultern gezuckt. „Möchtest du etwas trinken?“ habe ich gefragt und keine Antwort erwartet, dich nur weiter angesehen, von oben bis unten, bis zu deinen nackten Füßen, den Zehen die versuchten sich im Boden festzukrallen. Im Nebenzimmer klirrten immer noch die Teller und die Bücher, ja auch die klirrten, fielen schreiend zu Boden und begruben die Liebe unter sich. Sowie die Teekanne, genau hatte ich sie fallen gehört, es war noch etwas Flüssigkeit darin gewesen, ich hoffte, sie hat sich damals nicht verbrannt, Jakob, wirklich, das war es, an das ich denken musste, sobald ich mich auf den Lärm konzentrierte, meinen Blick immer noch auf dir und meine Arme um mich geschlungen, wie du es zuvor machtest.
Und dann, Jakob, ja dann wurde der Lärm weniger und die Stille irgendwie auch, das waren komische Momente und du hast langsam deinen Kopf zur Tür geneigt, die sperrangelweit offen stand und ich begriff, du würdest nicht weinen und sie begriff, dass es Zeit war zu gehen und du begriffst, dass es das Haustor war, das sie zuschlug und bist trotzdem erschrocken.
Eine Nacht war es, wie es immer eine war, mit Tee und den Worten und den Stunden die rannten, warum du mich küsstest, das weiß niemand so recht. Ich konnte dich nicht ansehen danach und du hast mich wieder geküsst, da stand sie schon im Flur und wollte sich anschleichen, dich überraschen und jubeln. Doch es kam anders, denn wir küssten uns ja, Jakob und ich hörte nur ihre Worte und den Lärm der begann, da warst du längst aufgesprungen und hieltst meine Hände immer noch.
Es war die Liebe, die in dieser Nacht starb, es war die eurige, Jakob. Würde ich dir sagen, wie sehr es mir leid tut, wäre es gelogen und ich müsste mich schämen, wie in dieser Nacht, in der sie verlor und du verlorst und ich dazwischen stand, ohne dass es einen Sinn machte.
Ich bin irgendwann eingeschlafen, als es schon ganz leise war. Ich bin irgendwann aufgewacht, da war das Zimmer lichtdurchflutet. Du standest immer noch zwischen den beiden Fenstern. Nie zuvor war mir aufgefallen, wie dunkel der Schatten dort war.

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