MenschenMomente

Mittwoch, 22. Oktober 2008

Fruchtfliegen

Das Fruchtfliegenfallen nach Essig stinken, weiß ich seit drei Tagen. Die Fruchtfliegen wissen das anscheinend schon länger und kreisen weiter, an anderen Stellen der Küche. Manchmal stehe ich dort und stampfe einmal mit dem Fuß auf, dann fliegen sie noch schneller und nicht mehr in Kreisen, dann sehe ich ihnen dabei zu und denke mir: 'Na wenigstens nicht Motten.'
Ich habe meine Pfirsiche weggeschmissen, meine Schnittblumen, die sowieso schon sehr kränkliche Zimmerpflanze liegt seit heute auch auf dem Müll und seit Tagen feiert die Frischhaltefolie ein Revival, das sich gewaschen hat. Fachmännisch kann ich mittlerweile dieses durchsichtige Plastikdingens, dass mich früher schnell in Panik versetzte, wenn es an mehr als zwei Stellen aneinander klebte, in einem rechten Winkel, halbwegs gerade abreissen. Der Kürbis ist eingepackt, die Überreste des Puddings, gestern folierte ich einen Apfel. Ich gestehe, das tat ich nur aus reiner Langweile. Ich hab den plastikschimmernden Apfel dann auf den Tisch gestellt und angeschaut, ich fühlte mich ein wenig wie der Christo der Kleinküchen, dann läutete auch schon das Telefon und ich sagte: 'Gleich bin ich auf dem Weg.'
Auf der Packung der Fruchtfliegenfalle, die sicher nur wegen dem modischen Druck an die sechs Euro gekostet hat, steht ganz unten: Achtung! Wirkt nicht bei Trauerfliegen. Und ich lasse meinen Kopf in meine Hände fallen und wiege ihn hin und her. Ich denke: 'Nicht auch noch Trauerfliegen.' Zwar weiß ich nicht, was Trauerfliegen sind, aber draussen hat der Wiener Vorwinter begonnen, mit Nebel bis zur letzten hellen Stunde des Tages, während der dann der Himmel aufreisst und man ungläubig nach oben blickt, da fliegen dann die Krähen und ein paar Flugzeuge, da ist es kälter als hier unten. Als Kind, da wollte ich das nie glauben.
Es könnte der Fall sein, dass ich überreagiere, die Fruchtfliegen betreffend. Vielleicht sind es gar nicht soviele, wie ich mir einbilde und vielleicht sterben sie morgen bereits alle. Fliegen einen letzten Kreis und fallen dann langsam zu Boden, wie Staubkörner, auf die ich drauftrete, komme ich aus dem Kino zurück, ohne es zu merken.
Eva sagt, ich solle Apfelsaft in die Essigfruchtfliegenfalle mit dem modischen Druck gießen. Auch das werde ich tun, werde hinterhältig werden und die Fliegen austricksen, werde neben der Falle sitzen und: 'Ha.' sagen, bei jedem weiteren Todesfall. Einen Tag länger als nötig, werde ich diese Falle stehen lassen, dann kommen die Trauerfliegen und fliegen einen letzten Trauermarsch um ihre ertrunkenen Kumpanen. Ich werde das Fenster öffnen und sie werden, einer Miniaturausgabe eines Vogelschwarms ähnlich, in die kalte Morgenluft fliegen.
Glaubt mir, dann kann der Winter kommen.

I once lived on an island

Lieber M.,

ich habe ab und an an dich gedacht diese Woche. Zum Beispiel als ich mit Helen in dem israelischen Restaurant saß. Sie sagte: My twin-sister, the muslim... und ich unterbrach sie, mit der mir im nachhinein fast peinlichen Frage: So you are fraternal twins? Woraufhin Helen mich seltsam anschaute und ich mich schon entschuldigte, als die Frage noch gar nicht wirklich gestellt war.
Jedenfalls sind Helen und ihre Zwillingsschwester eineiig, anders als Helen ließ sie sich mit achtzehn Jahren schwängern und heiratete ihren muslimischen Freund, trug seitdem Kopftuch, bis vor zwei Wochen und trägt jetzt eine Burka. Helen hat geseufzt, nachdem sie das erzählt hat, ein wenig hat sie auch gelacht, dann aber wieder geseufzt und gemeint: I wonder how I should recognize her now at the airport if there is another burka wearing woman.

Das ist einer der Momente, die mich an dich denken ließen. Ein anderer geschah erst heute, - ich klapperte Buchhandlungen nach einem bestimmten Magazin ab, das es nirgends gab und sah ein Buch eines gewissen Martin L.. Martin L. ist anscheinend Schriftsteller, er hat irgendwas mit Film studiert, eigentlich ist das nicht wichtig. Wichtig ist, und das wohl auch nur für mich, dass dieser Martin L. den Literaturpreis, den ich mit 16 gewonnen habe, ein Jahr vor mir einheimste, mit einem Gedicht, das ich mir in ein kleines Buch geschrieben habe und manchmal jemanden vorlas, dies allerdings mache ich schon lange nicht mehr. Martin L. hat also ein Buch geschrieben, ich habe nun also ein Jahr Zeit, es ihm gleichzutun. Ich werde dann allerdings ein bessere Klappentextfoto von mir haben. Ehrlich, der Verlag hat sich dabei wenig Mühe gegeben.

(Wegen dem Ticker heute auf jetzt, hatte ich abends das unbestimmte Verlangen Kürbissuppe zu kochen. Die Schalen ließen sich diesmal nicht richtig pürieren, beim Essen spuckte ich und habe beschlossen die Kürbissaison zu beenden. )

Gestern traf ich Helen wieder, ich erzählte ihr von meinen anstehenden Irlandurlaub und meinen romantischen Gefühlen Wales gegenüber. Sie sagte: You must like sheep. Ich sagte: No. Sie hat dann gelacht und wenn ich wiederkomme trinken wir Pim's. Das habe ich nicht mehr getan, seit ich aus London weggezogen bin. Das ist Jahre her, ich hab dir nie davon erzählt.
In London habe ich viel Zeit mit Ana und ihrem 76 jährigen Vermieter verbracht. Der alte Mann kochte für uns, tanzte mit uns durch die Nacht und nannte uns alle sweetheart. Früher hat er Sets für die Monty Pythons gebaut, hat sich mit John Cleese eine Freundin geteilt und mit seiner zweiten Frau ein Cottage an einer Küste. Immer sagte er zu uns: Bloody England, I will move to Sicily. Er hat dann auch sein Haus verkauft, Sachen verschenkt und erklärte uns, er wäre für ein paar Wochen seine Schwester in Spanien besuchen und dann weiter nach Sizilien reisen. Da waren Ana und ich schon längst wieder in Wien und wir hörten nichts mehr von ihm. Als wir uns schließlich zuviel Sorgen machten, rief Ana Joanna an, seine alkoholkranke Exfreundin und Nachbarin. Ana fragte: Any news from Marc, where is he at the moment? Und Joanna sagte: Darling, call again in five minutes, then he will be back from the supermarket.
Bis heute lebt Marc mit Joanna in dem Haus auf der anderen Straßenseite und ich denke mir: wir haben uns zu Recht Sorgen gemacht. Ruft man ihn an, sagt er immer noch gerne bloody: Bloody England, bloody Fulham, bloody weather, bloody fucking London. Und so weiter. Einmal kaufte ich mir einen roten langen Rock zog ihn an und drehte mich in seiner Küche, durch das Loch in der Decke tropfte es und Joanna rauchte eine Zigarette. Sie sagte: Beautiful, sweetheart. You remind me of myself when I was living in New York.

Ich habe nie in New York gelebt und ich habe es auch nicht vor. Manchmal denke ich mir, dass Joanne gelogen hat, als sie dies sagte, manchmal denke ich, ich hätte nie wieder wegziehen sollen. Ich hätte mein Glück in London gefunden, irgendwann. Natürlich hätte ich das.

M., weißt du, gestern fuhr ich mit dem Fahrrad zu Michelbeuern hinauf, später die Alser Straße hinauf und einige Stunden später die Ottakringer Straße hinunter bis ich zuhause war. Ich habe den Computer angeschalten und A. sagte, dass er auf den Herbst wartet.
Wir warten zuviel in dieser Stadt, lieber M., wir warten hier alle einfach zu viel.

Manchmal denke ich noch daran, vielleicht doch irgendwann in die Mongolei zu gehen. Ich mache das aber nur noch halbherzig, ich mache das eigentlich nur, um an diesem oder jenem Abend jemand davon erzählen zu können, Gespräche aufzupeppeln und zu wissen, die Leute erinnern sich an mich.
Menschen die in die Mongolei wollen sind selten, mein dringender Wunsch dort Monate leben zu wollen, er hatte etwas mit der Angst zu tun zu verschwinden.

Bald wird es schneien, M. Noch ein Monat, denke ich. Wenn ich übermorgen an der Küste Irlands sitze, werde ich für dich einen Stein ins Wasser werfen. Irgendwann, das schwöre ich, wird das einen symbolischen Wert haben, von dem wir beide noch nicht wissen.

M.

PS: Helen sagte auch noch gestern, dass ich ja nie nach Wales fahren soll, will ich mir meine romantische Idee davon behalten. Ich hab daraufhin kurz gelacht und gesagt: Yes, of course.

Montag, 15. September 2008

Das Märchen vom Moos

Du fragst mich, ob ich hier wohnen möchte, vor deiner Tür. Nur manchmal, zum Beispiel an ungeraden Tagen oder jenen, an den man zum Frühstück gerne Butterbrot isst. Vielleicht auch nur kurz, wenn der Raps wieder blüht, du wärst dann Leonard Cohen für mich und ich müsste damit rechnen früher aufzustehen, eventuell ein wenig zur Seite zu rücken und meinen Namen zu vergessen, ab und an.

Dein Kopf ruht auf meinem Bauch, sagst du solche Dinge. Ich habe die Augen aufgeschlagen, wie ein Buch, in dem du lesen könntest. Aber das willst du nicht, willst lieber in den Himmel schauen, dort könnte ein Drache wohnen, sagst du und ich lüge dich an, antworte ich: Ja.

Du bist ein Schiff für mich, du bist ein Schiff mit ungespannten Segeln, winke ich dir zu, kommt die Ebbe und du bist nicht mehr da.

Meine Arme hängen von dem hohen Bett, liegt dein Kopf nicht auf meinem Bauch. Sie baumeln ein wenig und berühren deine Schultern, würdest du zwei Schritte rückwärts machen. Es dauert zwei Minuten bis sie dort festwachsen, zwei Stunden bis sie voller Vögel sind, zwei Tage bis sie schmerzen, zwei Wochen bis du sie bemerkst. Meine Arme baumeln, du summst ein Lied. Ich kann dich nicht sehen, mit meinen Bücheraugen. Ich schlage Kapitel vier mit ihnen auf, ich knipse das Licht mit ihnen aus, ich sage leise: Kommst du denn jemals wieder?

Auf dem Berg, auf dem ich mir vorstelle dass du wohnst, dort blüht gerade Arnika. An den Tagen mit wenig Wind, da stehst du vor der Hüttentür und denkst an mich, denkst an das Tal, wo ich lange nicht mehr wohne, sagst eine Jahreszahl, die mir gehört. Würdest du wissen, wie sie mich nennen, was würdest du tun?

Ich sage: Vor deiner Tür ist es kalt, was mache ich im Winter? Wenn der Februar mit einer neunundzwanzig endet, dann friere ich, kann deine Tür nicht öffnen und höre dich vielleicht nicht atmen. Vor deiner Tür wohnen die wilden Tiere, die mich im Traum zu stark umarmen. Vor deiner Tür dringt Licht unter dem Spalt hervor und der Boden schmeckt nach Honig. Die Bienen sie stechen ein Mahnmal in meine Haut, willst du es lesen, nenn mich Suzanne, gib mir einen Regenmantel. Geh nie wieder weg.

Im Endeffekt stehst du dann auf, dein Finger zeigt auf eine Wolke. Auch das ist kein Drache, denke ich. Ich blicke dich an, solange bis du zurückblickst, mein Königreich ist abgebrannt.

Liebster, ich kann warten.

Montag, 28. Juli 2008

Trägst du mich bis nachhaus (Berlin Ansichten #3)

Und
immer sehe ich
dich an
da bist du schon
längst um die nächste
Ecke gegangen

[in den Bäumen rauscht der Wind]

und manchmal halte ich deine Hand, auch da bist du schon längst nicht mehr hier. Aber ich halte sie, halte sie fest, irgendwann wirst du das spüren, wirst dich umdrehen auf deinen Weg und ich stehe dann immer noch da, an der Ecke, an der wir uns noch nie verabschiedet haben. Vielleicht ist es auch noch Berlin, in Gedanken wird es das immer sein.

In Porto werde ich ein Gedicht über dich schreiben, ein wenig hohl klingt es beim ersten Mal. Ich werde frieren am Atlantik und das vergessen, sobald ich der Stadt den Rücken zukehre. Es wird wie eine Kirsche für dich sein, ein Kirschkern zum Weitspucken, zum Gewinnen gegen die anderen, die immer die anderen bleiben werden. Was interessieren mich ihre Gesichter?

Wie gut es doch ist hier, das möchte ich T. sagen. Einen jeden Tag möchte ich das. Ich weiß nicht, wo sie war die letzten Jahre, mit wem ich durch die Straßen ging, noch vor Wochen, wer mich morgens weckte. Wenn wir auf Schaukeln sitzen und der Tag hinter den Bäumen verschwindet, wenn D. mich an eine Comicfigur erinnert, während mein Husten immer noch nicht aufhört, dann ist es als hätten wir ein Schneckenhaus über das Monat gestülpt. Manchmal hebt es sich von selbst, und niemand hatte jemals Angst.

Montag, 23. Juni 2008

Andacht (Berlin #2)

Ich gehe den Weg mit dir. Die Straßen, die mir etwas bedeuten, du kennst sie lange. Sie haben Namen aus Buchstaben, die immer anders klingen, sagst du sie. Sie beherbergen Orte, die ich dir nicht zeige, du würdest sie schon kennen, davor habe ich Angst.
Die Stiegen, die hier Treppen heißen, sie knirschen unter den Schritten. Die Sessel, die hier Stühle heißen, sie waren schon vor uns da. Wie du sitzt auf dem einen, wie ich sitze auf dem anderen, es ist, als wären die Fenster weit offen, als kämen die Nachbarn hereingestiegen und sagten: Der Kuchen hier ist nur für euch.

Ich schlafe mittig seit ich hier lebe und verlasse das Bett über das Fußende. Das sind Dinge, die habe ich vorher nie gemacht. Ich erzähle dir davon und du sagst: Vielleicht ist das einfach so. Ich erzähle dir auch von dem Mann in S-Bahn der über Körperflüssigkeiten sang und du sagst: Ein Wunder ist, was du erlebst.
Ich schlafe mittig und tief. In der Früh schwitze ich. Der Polster, der hier Kissen heißt, ist eine Decke. Klingelt das Telefon ist es oft Eva und ich sage Pankraz zum Abschied, ein Scherz den niemand versteht. Nur Eva vielleicht, Eva und ich. Eva und ich, das hat mir so gefehlt.

Im Victoriapark geht die Sonne unter, Milan fährt auf dem Rad vorbei, ich erzähle ihm von dem Wochenende am See. Napoleon war mal dort, wo wir sitzen. Manchmal habe ich das Gefühl Napoleon war überall. Als ich heimfahre, ohne Licht, sitzen die Menschen auf der Admiralsbrücke und in der Mariannenstraße biege ich wie immer zu früh ab.

Wir gehen einen Weg gemeinsam. Du kennst ihn nicht und ich bin nicht sicher. Wenn wir torkeln im Dunkeln liegt mein Kopf auf deiner Schulter und du sagst: als wäre es schon immer so gewesen. Wenn wir schwanken im Geheimen, sehe ich dich an und weiß: du bist nicht hier.

Was wir hätten haben können

Was wir hätten haben können: Montage voller Küsse, Abschiede und Wiedersehen. Ich hätte mich öfters umgedreht beim Fahrradfahren, ich hätte dir dabei ins Gesicht gelacht und wäre nicht gefallen. Du hättest Abendessen gekocht, ich hätte es gemocht.
Und danach, Wein, den du mitgebracht hättest, wir hätten ihn aus billigen Gläsern geschlürft, die ich aus diversen Lokalen mitgehen habe lassen, dazu hätte mein Bein deines berührt und du hättest mich angeschaut und mir wäre es warm und kalt den Rücken hinuntergelaufen, wegen dieser Augen. Dieser Augen.
Wir hätten den ganzen Oktober und im Dezember einfach so weitergemacht und Liebe gemacht, zwischen den Bettlaken, dann hättest du meinen Arm hinuntergeküsst. Langsam. Das Geräusch. Ich vergesse es nie.
Außerdem: Stehen am Treppenabsatz und trotzdem kleiner sein als du. Lieder singen, die du nicht verstehst und lachen, weil du auch lachst. Nie hätten wir über das andere, das außerhalb gesprochen, das Leben das dich umgibt und es wäre gut gewesen.
Einen Kuchen habe ich gebacken. Er wird langsam kalt. Die Zwetschken darin, sie schrumpeln in sich zusammen. Ich sitze am Küchentisch. Ich sehe ihnen zu.
Eine Minute vergeht so schnell wie eine jede andere, in der du dich nicht meldest. Und ich schon gar nicht mehr weiß, ob es überhaupt versprochen war, oder ich mir etwas vormache.
Was wir hätten haben können: ein Geheimnis, etwas Verbotenes, ein Beißen auf die Lippen. Etwas.

Ich vergesse so schnell, dass du verheiratet bist.

[Herbst 07]

Freitag, 23. Mai 2008

Vor dem Fenster die Stadt. (Berlin#1)

Fünfundzwanzig Minuten bis Hermannplatz, dort gibt es Karstadt, das Übel, Kissen, Wasserkocher, Schneidebretter. Gehe ich jetzt los, bin ich noch vor halb drei dort, zurück kaufe ich mir ein Ubahnticket und bin noch schneller.
Mein Kopf ist voller Zahlen, seit ich in dieser Stadt angekommen bin, die mir sagen, wie lange es dauert, bis man beim Bürgeramt ist, wieviele Meter es sind, wie lange die Nudeln kochen müssen, wieviele Treppen es sind bis vor die Wohnungstür, bis hinunter in den Hof, wieviele Gänge das Rad hat, wieviel Geld ich pro Woche ausgeben kann, wieviele Stunden Schlaf zuviel sind, die Anzahl der Tage, die sich manche Leute schon nicht mehr gemeldet haben.
Fast glaube ich, alles neu lernen zu müssen, wache in der Früh auf mit großen Augen, klettere auf den Tisch um die Vorhänge wegzuhängen, erkenne an den Schatten die die Satelittenschüsseln an die Wand gegenüber werfen, dass die Sonne scheint, zum ersten Mal scheint, seit ich hier ankam, Wochen scheinen seit damals vergangen zu sein und doch sind es nur Tage. Tage an denen ich fror und die Dielenbretter zählte, alles auf Zettel schreibe, als würde ich eine Paranoia entwickeln Dinge zu vergessen, die es nicht mal Wert sind erinnert zu werden.
Ich höre schottisches Uniradio, ich trinke abends ein Glas Wein, während die schwarzweißen fetten Vögel in der Dachrinne schon längst schlafen. Ich sehe in den Spiegel und drücke auf den Auslöser, das Foto, am Bildschirm später, es zeigt eine Junge Frau, mit roten Lippen und zu blauen Augen. Das bin ich also, denke ich und schon ist wieder alles einfacher.
Am Bürgeramt gestern, nach Tagen der Kälte, der ich zu trotzen versuchte und tapfer ohne Handschuhe die Sonnenallee entlangfuhr, auf diesem Rad, das ich nicht zurücklassen kann, bereits jetzt kann ich das nicht mehr, am Bürgeramt gestern, da lernte ich Dasha dann kennen.
Ein Mädchen aus Lettland, voller Hass dieser Stadt gegenüber, voller Heimweh und Melancholie. Wir aßen libanesisch gemeinsam, ich lud sie zum Tee ein, sie zeigte mir Fotos ihrer Wohnung und Mitbewohner, zuhause in Riga, erzählte von einem Kilo Parmesan und singenden Deutschen. Dasha hat mich froh gemacht, mit ihrem Pessimismus, ich gab ihr meine Nummer, schon lange bevor wir uns verabschiedeten und sie lächelte kurz und biss vom Baklava ab.
Als Dasha und ich das Bürgeramt verließen, begann der Regen wieder und auf den Stufen lagen Blumenblätter und -köpfe. "That's maybe the most unromantic place to marry that I've ever seen." sagte ich. "I would rather kill myself" antwortete sie und wir gingen die Straße hinunter, aßen keine Suppe und es war April, einfach so.

Dienstag, 26. Februar 2008

Gesundheitsbeschwerden

Ich sitze beim Arzt. Das mache ich zu oft, seit den letzten zweieinhalb Jahren, seit damals, in Russland, als der Körper aufhörte, so zu funktionieren, wie er sollte. Als ich im Flugzeug saß und E. meine Hand hielt, während die Sonne vorm Fenster unterging und mir kotzübel war, vor Schmerzen. Ich weiß noch, als wir landeten, da stand diese Stewardess vor mir und ich sagte: "Mir geht es nicht gut." und da war dieser Mann, der sagte, er wäre Sanitäter und da war dieser Flughafenbeamte der sagte: "Arzt? Nein, Arzt haben wir hier keinen. Ich kann aber gerne die Feuerwehr rufen." E. hat sich wundervoll um mich gekümmert, noch heute sehe ich sie am Morgen, an dem wir uns trennten, an dem sie mir ihr Ticket gegeben hatte, damit ich schnell ans Ziel komme, sehe sie mit dem zu großen Koffer, wie sie dasteht, wie wir uns umarmen, wie ich sagen will: "Das tut mir so leid." .
Im Wartezimmer sind außer mir nur alte Menschen, auch daran gewöhnt man sich, ebenso wie an die überall gleichen Grünpflanzen, die aussehen, wie direkt aus den Achtzigern importiert. Ich erinnere mich, dass auch meine Eltern früher einen Gummibaum im Wohnzimmer unserer alten Wohnung stehen hatten. Bis zur Zimmerdecke ragte der hoch, unzählige Kinderfotos von mir wurden neben diesem grünen Unding gemacht, weil es ein wenig Farbe reinbrachte, weil man sah, wie klein ich noch bin, weil der Rest des Zimmers zu beige-braun war, um auf Fotos die kindliche Freude nicht ganz zu verschlucken. Der Gummibaum starb mit dem Umzug in das neue, helle Haus, ohne beige Töne und ich erinnere mich nicht ein Exemplar eines solchen, welches nicht entweder in einem Zimmer meiner Mitbewohner, die etwas pflegeleichtes, grünes, lebendiges suchten oder eben in Arztwartezimmern, jemals wieder gesehen zu haben.
Als ich aufgerufen werde, laufe ich in das falsche Zimmer, laufe dann wieder zurück. Die Ärztin sieht mich verärgert an. Ich entschuldige mich auf der Stelle. Nachdem ich ihr erkläre, dass es meine Skoliose ist, die mich herbringt, mein Beckenschiefstand, meine entzundene Ferse, meiner schmerzenden Rippen. Nachdem sie meine Aussagen ausbessert, mir vorhält Prognosen zu stellen, wo ich doch nur Vermutungen anstellen könnte, hämmert sie genervt Wörter in den Computer. Dass das bestimmt Gemeinheiten über mich sind, die mich als ignorante, hypochondrische Besserwisserin titulieren, die ich aber nicht verstehe, weil sie in geheimen Arztlatein verfasst werden, denke ich und verkrampfe meine Hände noch mehr zu Fäusten. Diese Paranoia über mich in Fremdwörtern beschimpfendes Arztpersonal, auch diese habe ich seit zweieinhalb Jahren, als ich schlussendlich in einem bayrischen Provinzkrankenhaus landete, wo man mich vier Tage herumliegen ließ und mir schlußendlich Schmerztabletten mit den Worten "Nehmen sie die und wenn sie dann schmerzfrei sind, dürfen sie nachhause." gab. Den Befund bekam ich zwei Wochen später mit der Post, er war eineinhalb Seiten lang, er beinhaltete viele seltsame Ausdrücke. Ich überreichte ihn meinem Kardiologen, der ihn überflog und schließlich meinte: "Na da steht aber auch nix drinnen." Ich glaube, da hat das alles angefangen.
Doch heute, in dieser Praxis, mit dieser schlechtgelaunten Ärztin, versuche ich aufzuhören, daran zu denken, schließlich bin ich wegen meiner Knochen hier, ein Problem, das sich seit meiner Wachstumsschübe im Jugendalter hinzieht, ein Problem, das ausnahmsweise nichts, aber wirklich nichts, mit der Russlandgeschichte zu hat. Sie führt Muskelfunktionstests an mir durch, die Ärztin, mit der blauen Brille. Dabei sieht sie mir starr ins Gesicht bis meine Hände anfangen zu schwitzen, mein Gesicht anfängt zu heiß zu werden und meine Haut zu jucken. Sie fragt: "Was haben sie sonst für Beschwerden?" Und ich erzähle von meiner Histaminintoleranz, von der Prognose im Herbst 2005. Sie will wissen, warum ich überhaupt einen Allergietest machen ließ. Ich schweige.
Ich beiße mir auf die Lippen, ich blicke zu Boden, wie ein ertapptes, kleines Mädchen, ich sage: "Wissen Sie, das ist eine längere Geschichte." Ein wenig hoffe ich, sie damit abzuschrecken, um nicht weiterzufragen, um nicht wieder in den Strudel der Ereignisse zu geraten, um nicht ein weiteres Mal hören zu müssen: "Und eine Diagnose haben sie nie erhalten?" Es funktioniert nicht, die Ärztin lässt nicht locker, sie hat Zeit sagt sie und ich starre sie kurz an und seufze. Also erzähle ich sie wieder, die Geschichte meines holpernden Herzens, meiner Schlaflosigkeit deswegen, meiner Ohnmachtsanfälle in der Früh. Ich erzähle, wie ich keine zwei Stockwerke mehr gehen konnte, ohne Schweißausbrüche, ich erzähle vom Schüttelfrost, von den unsäglichen Schmerzen im Brustkorb, von den Erstickungsanfällen. Davon dass ich dachte, es wäre nun einfach so vorbei, das Leben, davon erzähle ich ihr nichts.
Mit ihrem Kugelschreiber spielt sie inzwischen und schüttelt den Kopf. Irgendwann versucht sie einen unpassenden Vergleich zwischen mir und einem vergifteten russischen Geheimagenten zu machen, der als Witz gedacht war, aber so nicht bei mir ankommt. Ich erzähle weiter, von dem Ärztemarathon, der die Wochen und Monate darauf folgte, von der psychischen Belastung, die es bedeutete, einfach nie eine Diagnose zu bekommen, als Psychosomatikerin abgestempelt zu werden und dann nachts zuhause wach zu liegen, weil das Herz hämmerte, als wollte es einem aus der Brust springen.
Sie sagt danach wenig. Sagt dann doch: "Wissen Sie, ich frage, weil ihre schmerzenden Rippen, nichts mit ihrer Wirbelsäule zu tun haben können. Ich sage Ihnen, und das tue ich nicht gerne, dass ich glaube, dass jene Schmerzen, immer noch eine Nachwirkung von damals sind. Ich sage Ihnen auch, was ich vermute, das damals passierte." Die Sätze die darauffolgen, beinhalten Dinge wie allergische Reaktionen, Angriff des vegetativen Nervensystems und Glück, dass ich da wieder heil rausgekommen bin. Ich nicke zu all dem, ich bin in dem Sessel versunken, ich will das alles nicht hören. Ich kann nicht damit umgehen, will ich ihr sagen, hören Sie doch auf. Aber ich schweige, ich drücke an meine unteren Rippen, die augenblicklich zu schmerzen anfangen und bin still. Höre den Ausschweifungen zu, was da noch alles hätte passieren können, lasse mir erklären, warum die Ärzte eventuell nichts fanden. Sitze da und sitze doch wieder im Flugzeug, neben E. und der alten Frau, die Malerin war, ich weiß es noch genau. In der Reihe daneben, ein kleines Mädchen, das seine Mutter fragt, was mit mir los sei und welches der einzige Grund ist, warum ich versuche nicht in Ohnmacht zu fallen, sondern es anzulächeln. Kurz, ab und an.
Massage, Kurzwellenbestrahlung und Gymnastikstunden bekomme ich für meine Wirbelsäule verschrieben, bis Mitte April werde ich damit beschäftigt sein. Ich kaufe eine halbe Honigmelone danach und während ich nachhause gehe, blicke ich der Straßenbahn nach und versuche jede einzelne Station benennen zu können. Sonst versuche ich nichts.
Zuhause, vor dem Computer, in dem Raum in dem ich das Fenster aufriss und die Röntgenaufnahmen in die Ecke werfe, schreibe ich K. die gerade online ist. Ich schreibe ihr, dass es mich nie loslassen wird, was damals passierte und ich fange an zu weinen, weil ich einsehe in dem Moment, dass es die Wahrheit ist, die ich schreibe. Wenigstens Massagen, antwortet K., da beiße ich gerade in das erste Stück Melone. Im Radio, ein Lied das ich nicht kenne. K. und ich schreiben uns nicht weiter. Nicht über diese Zeit damals, das machen wir nie. Diese Zeit, in der nicht nur ich fast verrückt wurde vor Schmerzen und Angst, sondern während der auch R. starb, 21jährig, an einem entzundenen Herzen, das niemand erkannte. Ich saß vor dem Computer damals, ich wusste nicht was zu sagen, mein Brustkorb schmerzte augenblicklich noch mehr. Später ließ ich in meiner Panik ein Röntgenbild und eine Ultraschalluntersuchung nach der anderen machen. Mein Herz, es ist gesund, sagten die Ärzte und ich weinte, in diesem kalten Krankenhaus, weil es genau dieser Satz war, an dem R. starb.
Was ich gelernt habe: ich werde nicht sterben wie R. Mein Herz, es ist wirklich gesund. Was ich nie lernen werde: daran zu glauben, zu jeder Zeit.

Sonntag, 27. Januar 2008

Kissing the Back of Your Hand

Kissing the back of your hand makes a sound like a wounded bird, hat mal jemand gesagt und ich habe es zitiert und weitergeflüstert und bin nicht verstanden worden. Habe es auch nicht gemacht, ein klein wenig deswegen. Stattdessen starrte ich beständig aus dem Fenster hinaus, vor dem der Sommer vorbeizog, vor dem der Herbst begann, vor dem das Gasthaus den Besitzer wechselte, beinahe hätte ich es nicht bemerkt. Als ich mich umdrehte, dann und wann, spielte jemand Klavier. Ich sagte: 'I guess I am running away.' Und kochte dann Reis mit Gemüse {Zucchini, Tomaten, Paprika, Zwiebeln, manchmal ein wenig Melanzani}
Wie ich saß, am Tisch und aus dem anderen Fenster starrte, da läutete manchmal das Telefon und ich hob nicht ab und rief nicht zurück und dann war auch schon November. Der Schnee kam, das Tanzen kam wieder, das Aufwachen in der Früh. Ich habe Suppe gekocht ab und an. Ich versperrte die Tür, zweimal, bei jedem Gehen.

Jedenfalls ist der Vogel gestorben, letzte Woche unter dem Küchentisch an dem ich Deutschnachhilfe gab und Fabio sah mich an und dann die Katze und dann bin ich aufgesprungen, zum Fenster gelaufen und sagte {in einem Ton, den ich nicht kannte}: Ich glaube, ich muss zu weinen beginnen.

Dienstag, 30. Oktober 2007

Das Meer und der alte Mann

Wir sind gerade am Schwarzen Meer angekommen. Margit, ich und die 200 anderen Passagiere, die zumindest meine Eltern, wenn nicht gar zum Großteil meine Großeltern sein könnten.
Jetzt jubeln sie, fangen an zu tanzen, hier am Sonnendeck des Schiffes und Margit und ich, ja wir jubeln auch und winken den rumänischen Fischern rechts und links von uns und lachen über Martin, der tatsächlich Vangelis spielt. .Später kommt Bocceli, warnt er und wir lachen noch mehr, gönnen uns gar ein Glas Champagner, als hätten wir uns das wirklich verdient, nach über eine Woche auf diesem Luxusschiff, mit all diesen Menschen, die man sonst wohl nie im Geringsten berührt hätte.
Der alte Mann, der alte Mann mit dem dicken Bauch, auch er steht am Deck, alleine, wie zumeist, er lächelt und in meiner Euphorie laufe ich zu ihm, um zu erklären, wie gut es ist, dass das Schiff wackelt und wir alle hier sind und da lacht er und sagt: Sie sind eine weise junge Dame, das sollten sie wissen. Selbstverständlich, wie alles erscheint in diesem Augenblick, nicke ich und erzähle von meinem Projekten, sehe ihm beim Nicken und Ergänzen zu und deute wie verrückt auf jeden einzelnen Pelikan, an dem wir noch vorbeifahren, während er dann sagt: Aus Wien sind sie, nicht wahr? Und wieder nicke ich und frage ihn, ob er denn auch schon dort war und er lacht und erzählt, mit einer Gestik und Mimik, die ihn plötzlich um sovieles jünger erscheinen lässt, wie es damals war, mit seiner Frau und seiner Tochter zum ersten Mal mit dem Riesenrad zu fahren und wie sie in Grinzig beim Heurigen essen waren und ach, wie sie immer und immer wiederkamen.
Wie versteinert stehe ich da und nicke immer noch wie blöd, als ihm bereits die Tränen runterlaufen und er leiser sagt: Meine Frau, wissen Sie, seit zehn Jahren nun ist sie schon tot.
Alles will ich versprechen, diesem alten Mann, in diesem Moment, am Schwarzen Meer und weiß nicht wie. Man glaubt, alles wäre für immer und scheitert doch, sagt er noch und lächelt dann, erklärt mir, dass ich doch noch jung wäre und sovieles vor mir, vielleicht auch die glücklichsten 42 Ehejahre, die ich mir vorstellen kann und ich lächle auch und weine innerlich, wegen dem Entsetzen und der Endgültigkeit, die mir bewusst wird und der Hand des alten Mannes, mit dem goldenen Ring, die zittert und zittert und zittert.

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