Geliebte alte Freundin
Woran dein Mann starb, Rosina, das weiß niemand mehr. Es ist über fünfzig Jahre her und du lebtest plötzlich mit deinem heranwachsenden Sohn alleine in dem großen Haus, mit den hohen Räumen und dem Garten davor. In alten Töpfen hattest du Blumen gepflanzt und hinterm Haus lebten immer noch die Hühner. Er wurde nicht alt dein Mann und du hast es nie überwunden, sprachst selten davon und wenn, dann vermischten sich die Zeiten, die schlechten mit den furchtbaren, die bald darauf kamen, aber ssshh, ich will dich nicht überfordern, noch ist es nicht soweit, noch ist nur der Mann gerade gestorben und ihr beerdigtet ihn links vom Friedhofeingang, an dem großen Weg, unweit von dem Grab mit dem großen Fliederbusch, in dem die toten Kinder der Nachbarsfamilie lagen, deren lebende Söhne noch nicht geboren waren. Der jüngste jener würde Jahre später auf den Namen Erwin getauft werden, da waren die furchtbaren Zeiten für dich bereits angebrochen und du weintest darüber, als die Frau mit dem Baby am Arm vor deinem Hoftor stand und sagte: Wir haben ihn Erwin genannt, damit ihn niemand vergisst.
Denn Erwin, dein Sohn, er war nach Hause gegangen, an einem nebeligen Abend, die Baugrube war nicht gesichert gewesen und er war metertief gefallen. Seinen bereits starren Körper fand man erst Tage später, er sei an inneren Blutungen gestorben, er hätte sich die Halsschlagader aufgeschlitzt, flüsterten die Menschen und wussten es nicht genau. Wussten nur, dass er noch stundenlang gelebt hatte und gelitten, sowie du, seine Mutter, es ein Leben lang tun würdest.
Auf dem Bild am Grabstein sieht einen ein ernster junger Mann an, der immer einundzwanzig bleiben wird, einmal, als du die Blumen dort gegossen hast, seufztest du und gingst rasch weg von dort.
Das Haus, das alte, das große, es war immer noch deines. Doch du konntest es nicht mehr ertragen. Ein Bettsofa, einen Tisch, ein Regal, ein paar Sesseln, einen Bottich, das alles und nicht mehr, nahmst du mit, eines morgens, als du in die kleine Stube, neben dem Haus zogst und jenes mit all seinen Erinnerungen zurückgelassen hast. Die Fenster standen auch Jahre später noch sperrangelweit offen und auf den Herdplatten hatte sich centimeterhoch Mäusekot angesammelt, eine Taubenfamilie brütete in den Dachbalken und das Efeu wucherte langsam über die Eingangstür. Mit dem Efeu wuchterten auch die Gerüchte über dich, dass die Trauer dich verrückt gemacht hätte und die Menschen, die dich besuchten, sie wurden weniger, sie verschwanden. Es hätte immer so weiter gehen können.
Es muss Ende der Achtziger gewesen sein, da stand die Nachbarsfrau wieder vor deiner Hoftür, kein Baby im Arm, aber ein kleines Mädchen an der Hand. Meine Enkelin, sagte sie und trat ein. Schon am nächsten Tag eilte das kleine Kind, gerade fünf Jahre alt, alleine zu dir und sang mit dir Lieder und erzählte aus ihrem Leben. Irgendwann hast du dir eine Katze genommen, sie hieß Uschi und zu dritt habt ihr mit Schnüren und Fäden gespielt, Milch getrunken und auf den Abend gewartet.
Du warst die beste Freundin für dieses Mädchen, das musst du wissen. Weil du sie respektiertest, als Menschen, nicht als Kind, weil du sie soviel erzählen ließt und ihr Lieder beibrachtest, die es noch nicht kannte. Und das kleine Mädchen, war deine beste Freundin, weil sie nicht fragte, nach dem staubigen Haus oder der nicht vorhandene Familie.
Zu Ostern verstecktest du Eier für sie im Garten und sie fand sie sofort. Sie fiel dir um den Hals und küsste ihn, trotz all der Falten und des säuerlichen Geruch. Die Jahre kamen und gingen und ihr habt eure Welt aufgebaut, in deiner kleinen Kammer, die keine 20qm groß war, aber gut genug für eure Freundschaft, es waren nur viel zu wenige.
Neunzehnzweiundneunzig, es war Juli und das Mädchen war eine ganze Woche bei ihren Großeltern zu Besuch, da war dein Hoftor verschlossen und die Großmutter flüsterte in der Küche, doch das Kind hatte alles gehört. Fragte nicht nach, als man auch mit ihm flüsterte und ließ sich das dunkelblaue Kleid, ohne Widerwillen anziehen. Es verstand einfach nicht, es hatte Angst davor. In der Aufbahrungshalle, voller alter Menschen, saß das kleine Kind aufrecht und hörte dem Priester zu. Das Mädchen zappelte ein wenig mit den Füßen, das Mädchen drehte sich nach allen Seiten um, das Mädchen schrie wie am Spieß, als der Sarg geschlossen wurde und ließ sich nicht mehr beruhigen. Die Mutter zerrte es aus dem Gebäude, sie sprach von Schutzengeln und dir und wusste doch, dass es sie nicht tröstete.
Rosina, fast fünfzehn Jahre ist das her und auch an was du gestorben bist, wissen nicht mehr viele. Deinen Namen, hast du schon Jahre vorher unter den deines Mannes und deines Sohnes gravieren lassen. Das Mädchen fragte dich einmal warum und du hast gemeint, dass es ja so kommen wird. Küsstest daraufhin den braunen Haarschopf des Kindes und nahmst seine Hand.
Geliebte alte Freundin Rosina, all das hab ich nie vergessen, ich versprach dir das, nachdem ich aufgehört hatte zu weinen und du immer noch tot warst. Für lange Zeit war es das wichtigste Versprechen in meinem Leben. An deinem Grab, einmal im Jahr, da schweige ich und sehe deinen Sohn an, der bereits jünger ist als ich und weiß, der Tod, er hatte ein schönes Gesicht für dich.
Denn Erwin, dein Sohn, er war nach Hause gegangen, an einem nebeligen Abend, die Baugrube war nicht gesichert gewesen und er war metertief gefallen. Seinen bereits starren Körper fand man erst Tage später, er sei an inneren Blutungen gestorben, er hätte sich die Halsschlagader aufgeschlitzt, flüsterten die Menschen und wussten es nicht genau. Wussten nur, dass er noch stundenlang gelebt hatte und gelitten, sowie du, seine Mutter, es ein Leben lang tun würdest.
Auf dem Bild am Grabstein sieht einen ein ernster junger Mann an, der immer einundzwanzig bleiben wird, einmal, als du die Blumen dort gegossen hast, seufztest du und gingst rasch weg von dort.
Das Haus, das alte, das große, es war immer noch deines. Doch du konntest es nicht mehr ertragen. Ein Bettsofa, einen Tisch, ein Regal, ein paar Sesseln, einen Bottich, das alles und nicht mehr, nahmst du mit, eines morgens, als du in die kleine Stube, neben dem Haus zogst und jenes mit all seinen Erinnerungen zurückgelassen hast. Die Fenster standen auch Jahre später noch sperrangelweit offen und auf den Herdplatten hatte sich centimeterhoch Mäusekot angesammelt, eine Taubenfamilie brütete in den Dachbalken und das Efeu wucherte langsam über die Eingangstür. Mit dem Efeu wuchterten auch die Gerüchte über dich, dass die Trauer dich verrückt gemacht hätte und die Menschen, die dich besuchten, sie wurden weniger, sie verschwanden. Es hätte immer so weiter gehen können.
Es muss Ende der Achtziger gewesen sein, da stand die Nachbarsfrau wieder vor deiner Hoftür, kein Baby im Arm, aber ein kleines Mädchen an der Hand. Meine Enkelin, sagte sie und trat ein. Schon am nächsten Tag eilte das kleine Kind, gerade fünf Jahre alt, alleine zu dir und sang mit dir Lieder und erzählte aus ihrem Leben. Irgendwann hast du dir eine Katze genommen, sie hieß Uschi und zu dritt habt ihr mit Schnüren und Fäden gespielt, Milch getrunken und auf den Abend gewartet.
Du warst die beste Freundin für dieses Mädchen, das musst du wissen. Weil du sie respektiertest, als Menschen, nicht als Kind, weil du sie soviel erzählen ließt und ihr Lieder beibrachtest, die es noch nicht kannte. Und das kleine Mädchen, war deine beste Freundin, weil sie nicht fragte, nach dem staubigen Haus oder der nicht vorhandene Familie.
Zu Ostern verstecktest du Eier für sie im Garten und sie fand sie sofort. Sie fiel dir um den Hals und küsste ihn, trotz all der Falten und des säuerlichen Geruch. Die Jahre kamen und gingen und ihr habt eure Welt aufgebaut, in deiner kleinen Kammer, die keine 20qm groß war, aber gut genug für eure Freundschaft, es waren nur viel zu wenige.
Neunzehnzweiundneunzig, es war Juli und das Mädchen war eine ganze Woche bei ihren Großeltern zu Besuch, da war dein Hoftor verschlossen und die Großmutter flüsterte in der Küche, doch das Kind hatte alles gehört. Fragte nicht nach, als man auch mit ihm flüsterte und ließ sich das dunkelblaue Kleid, ohne Widerwillen anziehen. Es verstand einfach nicht, es hatte Angst davor. In der Aufbahrungshalle, voller alter Menschen, saß das kleine Kind aufrecht und hörte dem Priester zu. Das Mädchen zappelte ein wenig mit den Füßen, das Mädchen drehte sich nach allen Seiten um, das Mädchen schrie wie am Spieß, als der Sarg geschlossen wurde und ließ sich nicht mehr beruhigen. Die Mutter zerrte es aus dem Gebäude, sie sprach von Schutzengeln und dir und wusste doch, dass es sie nicht tröstete.
Rosina, fast fünfzehn Jahre ist das her und auch an was du gestorben bist, wissen nicht mehr viele. Deinen Namen, hast du schon Jahre vorher unter den deines Mannes und deines Sohnes gravieren lassen. Das Mädchen fragte dich einmal warum und du hast gemeint, dass es ja so kommen wird. Küsstest daraufhin den braunen Haarschopf des Kindes und nahmst seine Hand.
Geliebte alte Freundin Rosina, all das hab ich nie vergessen, ich versprach dir das, nachdem ich aufgehört hatte zu weinen und du immer noch tot warst. Für lange Zeit war es das wichtigste Versprechen in meinem Leben. An deinem Grab, einmal im Jahr, da schweige ich und sehe deinen Sohn an, der bereits jünger ist als ich und weiß, der Tod, er hatte ein schönes Gesicht für dich.
fruktose - 4. Jan, 13:04