Dienstag, 26. Februar 2008

Gesundheitsbeschwerden

Ich sitze beim Arzt. Das mache ich zu oft, seit den letzten zweieinhalb Jahren, seit damals, in Russland, als der Körper aufhörte, so zu funktionieren, wie er sollte. Als ich im Flugzeug saß und E. meine Hand hielt, während die Sonne vorm Fenster unterging und mir kotzübel war, vor Schmerzen. Ich weiß noch, als wir landeten, da stand diese Stewardess vor mir und ich sagte: "Mir geht es nicht gut." und da war dieser Mann, der sagte, er wäre Sanitäter und da war dieser Flughafenbeamte der sagte: "Arzt? Nein, Arzt haben wir hier keinen. Ich kann aber gerne die Feuerwehr rufen." E. hat sich wundervoll um mich gekümmert, noch heute sehe ich sie am Morgen, an dem wir uns trennten, an dem sie mir ihr Ticket gegeben hatte, damit ich schnell ans Ziel komme, sehe sie mit dem zu großen Koffer, wie sie dasteht, wie wir uns umarmen, wie ich sagen will: "Das tut mir so leid." .
Im Wartezimmer sind außer mir nur alte Menschen, auch daran gewöhnt man sich, ebenso wie an die überall gleichen Grünpflanzen, die aussehen, wie direkt aus den Achtzigern importiert. Ich erinnere mich, dass auch meine Eltern früher einen Gummibaum im Wohnzimmer unserer alten Wohnung stehen hatten. Bis zur Zimmerdecke ragte der hoch, unzählige Kinderfotos von mir wurden neben diesem grünen Unding gemacht, weil es ein wenig Farbe reinbrachte, weil man sah, wie klein ich noch bin, weil der Rest des Zimmers zu beige-braun war, um auf Fotos die kindliche Freude nicht ganz zu verschlucken. Der Gummibaum starb mit dem Umzug in das neue, helle Haus, ohne beige Töne und ich erinnere mich nicht ein Exemplar eines solchen, welches nicht entweder in einem Zimmer meiner Mitbewohner, die etwas pflegeleichtes, grünes, lebendiges suchten oder eben in Arztwartezimmern, jemals wieder gesehen zu haben.
Als ich aufgerufen werde, laufe ich in das falsche Zimmer, laufe dann wieder zurück. Die Ärztin sieht mich verärgert an. Ich entschuldige mich auf der Stelle. Nachdem ich ihr erkläre, dass es meine Skoliose ist, die mich herbringt, mein Beckenschiefstand, meine entzundene Ferse, meiner schmerzenden Rippen. Nachdem sie meine Aussagen ausbessert, mir vorhält Prognosen zu stellen, wo ich doch nur Vermutungen anstellen könnte, hämmert sie genervt Wörter in den Computer. Dass das bestimmt Gemeinheiten über mich sind, die mich als ignorante, hypochondrische Besserwisserin titulieren, die ich aber nicht verstehe, weil sie in geheimen Arztlatein verfasst werden, denke ich und verkrampfe meine Hände noch mehr zu Fäusten. Diese Paranoia über mich in Fremdwörtern beschimpfendes Arztpersonal, auch diese habe ich seit zweieinhalb Jahren, als ich schlussendlich in einem bayrischen Provinzkrankenhaus landete, wo man mich vier Tage herumliegen ließ und mir schlußendlich Schmerztabletten mit den Worten "Nehmen sie die und wenn sie dann schmerzfrei sind, dürfen sie nachhause." gab. Den Befund bekam ich zwei Wochen später mit der Post, er war eineinhalb Seiten lang, er beinhaltete viele seltsame Ausdrücke. Ich überreichte ihn meinem Kardiologen, der ihn überflog und schließlich meinte: "Na da steht aber auch nix drinnen." Ich glaube, da hat das alles angefangen.
Doch heute, in dieser Praxis, mit dieser schlechtgelaunten Ärztin, versuche ich aufzuhören, daran zu denken, schließlich bin ich wegen meiner Knochen hier, ein Problem, das sich seit meiner Wachstumsschübe im Jugendalter hinzieht, ein Problem, das ausnahmsweise nichts, aber wirklich nichts, mit der Russlandgeschichte zu hat. Sie führt Muskelfunktionstests an mir durch, die Ärztin, mit der blauen Brille. Dabei sieht sie mir starr ins Gesicht bis meine Hände anfangen zu schwitzen, mein Gesicht anfängt zu heiß zu werden und meine Haut zu jucken. Sie fragt: "Was haben sie sonst für Beschwerden?" Und ich erzähle von meiner Histaminintoleranz, von der Prognose im Herbst 2005. Sie will wissen, warum ich überhaupt einen Allergietest machen ließ. Ich schweige.
Ich beiße mir auf die Lippen, ich blicke zu Boden, wie ein ertapptes, kleines Mädchen, ich sage: "Wissen Sie, das ist eine längere Geschichte." Ein wenig hoffe ich, sie damit abzuschrecken, um nicht weiterzufragen, um nicht wieder in den Strudel der Ereignisse zu geraten, um nicht ein weiteres Mal hören zu müssen: "Und eine Diagnose haben sie nie erhalten?" Es funktioniert nicht, die Ärztin lässt nicht locker, sie hat Zeit sagt sie und ich starre sie kurz an und seufze. Also erzähle ich sie wieder, die Geschichte meines holpernden Herzens, meiner Schlaflosigkeit deswegen, meiner Ohnmachtsanfälle in der Früh. Ich erzähle, wie ich keine zwei Stockwerke mehr gehen konnte, ohne Schweißausbrüche, ich erzähle vom Schüttelfrost, von den unsäglichen Schmerzen im Brustkorb, von den Erstickungsanfällen. Davon dass ich dachte, es wäre nun einfach so vorbei, das Leben, davon erzähle ich ihr nichts.
Mit ihrem Kugelschreiber spielt sie inzwischen und schüttelt den Kopf. Irgendwann versucht sie einen unpassenden Vergleich zwischen mir und einem vergifteten russischen Geheimagenten zu machen, der als Witz gedacht war, aber so nicht bei mir ankommt. Ich erzähle weiter, von dem Ärztemarathon, der die Wochen und Monate darauf folgte, von der psychischen Belastung, die es bedeutete, einfach nie eine Diagnose zu bekommen, als Psychosomatikerin abgestempelt zu werden und dann nachts zuhause wach zu liegen, weil das Herz hämmerte, als wollte es einem aus der Brust springen.
Sie sagt danach wenig. Sagt dann doch: "Wissen Sie, ich frage, weil ihre schmerzenden Rippen, nichts mit ihrer Wirbelsäule zu tun haben können. Ich sage Ihnen, und das tue ich nicht gerne, dass ich glaube, dass jene Schmerzen, immer noch eine Nachwirkung von damals sind. Ich sage Ihnen auch, was ich vermute, das damals passierte." Die Sätze die darauffolgen, beinhalten Dinge wie allergische Reaktionen, Angriff des vegetativen Nervensystems und Glück, dass ich da wieder heil rausgekommen bin. Ich nicke zu all dem, ich bin in dem Sessel versunken, ich will das alles nicht hören. Ich kann nicht damit umgehen, will ich ihr sagen, hören Sie doch auf. Aber ich schweige, ich drücke an meine unteren Rippen, die augenblicklich zu schmerzen anfangen und bin still. Höre den Ausschweifungen zu, was da noch alles hätte passieren können, lasse mir erklären, warum die Ärzte eventuell nichts fanden. Sitze da und sitze doch wieder im Flugzeug, neben E. und der alten Frau, die Malerin war, ich weiß es noch genau. In der Reihe daneben, ein kleines Mädchen, das seine Mutter fragt, was mit mir los sei und welches der einzige Grund ist, warum ich versuche nicht in Ohnmacht zu fallen, sondern es anzulächeln. Kurz, ab und an.
Massage, Kurzwellenbestrahlung und Gymnastikstunden bekomme ich für meine Wirbelsäule verschrieben, bis Mitte April werde ich damit beschäftigt sein. Ich kaufe eine halbe Honigmelone danach und während ich nachhause gehe, blicke ich der Straßenbahn nach und versuche jede einzelne Station benennen zu können. Sonst versuche ich nichts.
Zuhause, vor dem Computer, in dem Raum in dem ich das Fenster aufriss und die Röntgenaufnahmen in die Ecke werfe, schreibe ich K. die gerade online ist. Ich schreibe ihr, dass es mich nie loslassen wird, was damals passierte und ich fange an zu weinen, weil ich einsehe in dem Moment, dass es die Wahrheit ist, die ich schreibe. Wenigstens Massagen, antwortet K., da beiße ich gerade in das erste Stück Melone. Im Radio, ein Lied das ich nicht kenne. K. und ich schreiben uns nicht weiter. Nicht über diese Zeit damals, das machen wir nie. Diese Zeit, in der nicht nur ich fast verrückt wurde vor Schmerzen und Angst, sondern während der auch R. starb, 21jährig, an einem entzundenen Herzen, das niemand erkannte. Ich saß vor dem Computer damals, ich wusste nicht was zu sagen, mein Brustkorb schmerzte augenblicklich noch mehr. Später ließ ich in meiner Panik ein Röntgenbild und eine Ultraschalluntersuchung nach der anderen machen. Mein Herz, es ist gesund, sagten die Ärzte und ich weinte, in diesem kalten Krankenhaus, weil es genau dieser Satz war, an dem R. starb.
Was ich gelernt habe: ich werde nicht sterben wie R. Mein Herz, es ist wirklich gesund. Was ich nie lernen werde: daran zu glauben, zu jeder Zeit.

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