Mittwoch, 22. Oktober 2008

I once lived on an island

Lieber M.,

ich habe ab und an an dich gedacht diese Woche. Zum Beispiel als ich mit Helen in dem israelischen Restaurant saß. Sie sagte: My twin-sister, the muslim... und ich unterbrach sie, mit der mir im nachhinein fast peinlichen Frage: So you are fraternal twins? Woraufhin Helen mich seltsam anschaute und ich mich schon entschuldigte, als die Frage noch gar nicht wirklich gestellt war.
Jedenfalls sind Helen und ihre Zwillingsschwester eineiig, anders als Helen ließ sie sich mit achtzehn Jahren schwängern und heiratete ihren muslimischen Freund, trug seitdem Kopftuch, bis vor zwei Wochen und trägt jetzt eine Burka. Helen hat geseufzt, nachdem sie das erzählt hat, ein wenig hat sie auch gelacht, dann aber wieder geseufzt und gemeint: I wonder how I should recognize her now at the airport if there is another burka wearing woman.

Das ist einer der Momente, die mich an dich denken ließen. Ein anderer geschah erst heute, - ich klapperte Buchhandlungen nach einem bestimmten Magazin ab, das es nirgends gab und sah ein Buch eines gewissen Martin L.. Martin L. ist anscheinend Schriftsteller, er hat irgendwas mit Film studiert, eigentlich ist das nicht wichtig. Wichtig ist, und das wohl auch nur für mich, dass dieser Martin L. den Literaturpreis, den ich mit 16 gewonnen habe, ein Jahr vor mir einheimste, mit einem Gedicht, das ich mir in ein kleines Buch geschrieben habe und manchmal jemanden vorlas, dies allerdings mache ich schon lange nicht mehr. Martin L. hat also ein Buch geschrieben, ich habe nun also ein Jahr Zeit, es ihm gleichzutun. Ich werde dann allerdings ein bessere Klappentextfoto von mir haben. Ehrlich, der Verlag hat sich dabei wenig Mühe gegeben.

(Wegen dem Ticker heute auf jetzt, hatte ich abends das unbestimmte Verlangen Kürbissuppe zu kochen. Die Schalen ließen sich diesmal nicht richtig pürieren, beim Essen spuckte ich und habe beschlossen die Kürbissaison zu beenden. )

Gestern traf ich Helen wieder, ich erzählte ihr von meinen anstehenden Irlandurlaub und meinen romantischen Gefühlen Wales gegenüber. Sie sagte: You must like sheep. Ich sagte: No. Sie hat dann gelacht und wenn ich wiederkomme trinken wir Pim's. Das habe ich nicht mehr getan, seit ich aus London weggezogen bin. Das ist Jahre her, ich hab dir nie davon erzählt.
In London habe ich viel Zeit mit Ana und ihrem 76 jährigen Vermieter verbracht. Der alte Mann kochte für uns, tanzte mit uns durch die Nacht und nannte uns alle sweetheart. Früher hat er Sets für die Monty Pythons gebaut, hat sich mit John Cleese eine Freundin geteilt und mit seiner zweiten Frau ein Cottage an einer Küste. Immer sagte er zu uns: Bloody England, I will move to Sicily. Er hat dann auch sein Haus verkauft, Sachen verschenkt und erklärte uns, er wäre für ein paar Wochen seine Schwester in Spanien besuchen und dann weiter nach Sizilien reisen. Da waren Ana und ich schon längst wieder in Wien und wir hörten nichts mehr von ihm. Als wir uns schließlich zuviel Sorgen machten, rief Ana Joanna an, seine alkoholkranke Exfreundin und Nachbarin. Ana fragte: Any news from Marc, where is he at the moment? Und Joanna sagte: Darling, call again in five minutes, then he will be back from the supermarket.
Bis heute lebt Marc mit Joanna in dem Haus auf der anderen Straßenseite und ich denke mir: wir haben uns zu Recht Sorgen gemacht. Ruft man ihn an, sagt er immer noch gerne bloody: Bloody England, bloody Fulham, bloody weather, bloody fucking London. Und so weiter. Einmal kaufte ich mir einen roten langen Rock zog ihn an und drehte mich in seiner Küche, durch das Loch in der Decke tropfte es und Joanna rauchte eine Zigarette. Sie sagte: Beautiful, sweetheart. You remind me of myself when I was living in New York.

Ich habe nie in New York gelebt und ich habe es auch nicht vor. Manchmal denke ich mir, dass Joanne gelogen hat, als sie dies sagte, manchmal denke ich, ich hätte nie wieder wegziehen sollen. Ich hätte mein Glück in London gefunden, irgendwann. Natürlich hätte ich das.

M., weißt du, gestern fuhr ich mit dem Fahrrad zu Michelbeuern hinauf, später die Alser Straße hinauf und einige Stunden später die Ottakringer Straße hinunter bis ich zuhause war. Ich habe den Computer angeschalten und A. sagte, dass er auf den Herbst wartet.
Wir warten zuviel in dieser Stadt, lieber M., wir warten hier alle einfach zu viel.

Manchmal denke ich noch daran, vielleicht doch irgendwann in die Mongolei zu gehen. Ich mache das aber nur noch halbherzig, ich mache das eigentlich nur, um an diesem oder jenem Abend jemand davon erzählen zu können, Gespräche aufzupeppeln und zu wissen, die Leute erinnern sich an mich.
Menschen die in die Mongolei wollen sind selten, mein dringender Wunsch dort Monate leben zu wollen, er hatte etwas mit der Angst zu tun zu verschwinden.

Bald wird es schneien, M. Noch ein Monat, denke ich. Wenn ich übermorgen an der Küste Irlands sitze, werde ich für dich einen Stein ins Wasser werfen. Irgendwann, das schwöre ich, wird das einen symbolischen Wert haben, von dem wir beide noch nicht wissen.

M.

PS: Helen sagte auch noch gestern, dass ich ja nie nach Wales fahren soll, will ich mir meine romantische Idee davon behalten. Ich hab daraufhin kurz gelacht und gesagt: Yes, of course.

User Status

Du bist nicht angemeldet.

Aktuelle Beiträge

Michaela Taschek hat...
Michaela Taschek hat den Wanderstock zur Hand genommen...
fruktose - 21. Nov, 13:14
Denn Wörter fallen nicht...
Denn Wörter fallen nicht zu Boden, sie steigen auch...
fruktose - 22. Okt, 12:27
Fruchtfliegen
Das Fruchtfliegenfallen nach Essig stinken, weiß ich...
fruktose - 22. Okt, 12:26
Herbstzeitlose
Aber morgens dann essen wir Salz an unseren Füßen hängt...
fruktose - 22. Okt, 12:24
I once lived on an island
Lieber M., ich habe ab und an an dich gedacht diese...
fruktose - 22. Okt, 12:19

Suche

 

Status

Online seit 6610 Tagen
Zuletzt aktualisiert: 21. Nov, 13:14

Credits


Beobachtung
Irrlichter
Lyrik
MenschenMomente
Plusquamperfekt
Prosa
Profil
Abmelden
Weblog abonnieren