Irrlichter

Dienstag, 17. Oktober 2006

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Wie verbringt man den letzten Abend für zwei weitere Monate in der ersten Heimat, nach einer Woche in der man die zweite Heimat aufgab und die dritte Heimat immer näher rückte. Man sitzt ein wenig im Zimmer, starrt auf das Telefon und weiß nicht, wem welche ungesagten Worte am meisten gehören, welche am wichtigsten sind und ob ungesagte Wörter denn nicht ungesagt bleiben sollen, ob sie das müssen, ob sie das dürfen. Man starrt auch auf den Rucksack der nicht voll wird, der dann doch voll wird, auf das Proviant, dass einem die Mutter gab und die Schuhe die grün hervorblitzen. Man starrt in den Spiegel und sieht sich ebenso leben, wie auf der Insel, man fragt sich, warum immer alles zu einfach oder zu schwer sein soll. Ob man das Gleichgewicht wieder findet und wann. Und wie. Und wo. Und weshalb. Man fragt sich eigentlich auch nichts, starrt eigentlich nicht in den Spiegel sondern nur geradeaus, ins Nichts, wo man auch nichts findet, dass einem Antworten gibt, als hätte man es erwartet. Man starrt auf die Bücher im Regal, die gelesen wurden, das ist lange her, man will wissen, ob man es auch irgendwann zu einem solchen schafft, das dann auch im Regal steht. Neben den anderen, als wäre es schon immer da. Man starrt auf die Hände, die sich nicht bewegen, sie zittern ein wenig, als hätte man zuviel gearbeitet, aber das hat man lange nicht mehr, man sollte öfters wandern gehen, man denkt an die Grillen vor dem Fenster im Sommer, im Sommer, wenn man schon wieder da ist. Und sie auch, musizierend, das hat der Großvater immer gesagt und man hat es geglaubt und ihnen kleine Geigen angedichtet. Man starrt auf den Boden. Dort liegt ein Brillenetui. Man fragt sich, ob es richtig war, für die neue Brille die Farbe rot zu wählen und warum die Mutter nichts sagte, als man darauf hinwies, dass sich das mit dem Lippenstift und schlagen könnte. Und warum die Tante nichts sagte, als man auch nichts sagte. Und warum der Bruder nichts sagte, als man ihm Glück wünschte. Und warum der Vater nichts sagte, in den richtigen Momenten. Warum man selber nichts sagte, am Telefon, in der Umarmung, beim Hände halten, am Küchentisch. Vielleicht weil die Worte zu Boden fielen, vor langer Zeit und man es nicht bemerkte, darüber stolperte und sie zertrat. Das ist aber nicht wahr, das ist Schwachsinn, Gefühlsduselei, man muss es nur einsehen. Denn Wörter fallen nicht zu Boden, sie steigen auch nicht in den Himmel, sie biegen auch nicht um die Ecke, sie hängen nicht von Himbeerstauden. Sie rieseln einem in die Hände und bleiben kleben. Macht man eine Faust, hört man es knirschen, ob man will oder nicht.

Spatzenherz

Die Hände gebunden und aufgefressen das Brot. In der Hitze des Gefechts merkt man selten, was einem lieb und teuer ist. Wirft Münzen in die Luft und fängt Spatzen, die nicht singen. Nicht heute. Nicht hier.
Einem nach dem anderen stellte ich ins Regal, sie wehrten sich nicht. Ich küsste sie nicht. Nahm die Motten aus der Kleidung und ließ sie durch ihre Löcher fallen. Verstand nicht, das Sinnlose. War es selbst.
Durchs Herz die Linie, die man nicht sieht, daran aufgehängt deine Berührung, deine Haarspitzen, wie sie leuchten im Dunkeln, wie sie zittern im Schwermut. Ich ziehe daran und nichts passiert. Es bleibt wie es ist und du bist nicht da. Nur kurz, ich weiß, nur kurz. Ich ziehe und schlafe ein alleine, unfähig der Worte, die es ungeschehen machen, die mich näher bringen.
Im Traum dein Gesicht nie sehen, dich nicht erkennen und dich aussperren, aus dieser Welt, die ohne dich nicht besteht. Im Aufwachen deine Hand nehmen und es nicht fassen. Die Grimassen, die das Leben zieht, bei denen man zu weinen beginnt. Viel zu selten.
Aber warum weinen, sagen die Spatzen im Regal und ich weiß es nicht. Halte die kalte Leitung in der Hand, an deren Ende die Stille sich zur Ruhe legt und es schneien lässt, die Münzen, die man vergaß, das Wichtige, das trotzdem wiederkommt.
Nicht sagen wollen damit, dass du eine Münze wärst für mich. Nicht meinen, dass alles zwei Seiten hat. Nicht wundern, über die Spatzen, die nicht taub sind, die fliegen sollten, ich weiß. Die Wörter auf den Boden rotzen und an ihnen kleben bleiben, ist alles was bleibt. Könnte ich schreien, es wäre egal. Aber du würdest es hören und wissen, wie falsch es klingt, wie anders, wie fremd. Dich bitten Anfänger zu sein mit mir. Wie man sagt, liegt darin die Wahrheit.
Alles in allem war Herbst, aber das tut nichts zur Sache.

Armutszeugnis

Ich will, dass du anrufst. Ich will das Meer sehen. Ich will dich sehen. Ich will dass du mich siehst. Ich will nichts. Nur das.
Ich verruecke Stuehle und Narben und mich. Ins rechte Licht, da werden die Stuehle warm, die Narben sichtbar und ich alt. Mit dem Licht passiert dabei nichts. Es wandert nur, ein wenig die Wand hinuter. Bis es am Boden ist, wo ich auch bin. Irgendwann. Liegend. Wo ich die Augen zuhalte und die Narben, die mir nackt vorkommen und es sind. Die nicht aussehen nach Tapferkeit, nach Mut oder Abenteuer. Die nur nach Schmerz riechen und es sind. Die Knie umklammern, sagt man, schuetzt vor der Kaelte, haelt warm. Mache ich das, findet sich eine Hand frueher oder spaeter auf dieser Schmerzstelle wieder.
Fiel vom Baum als Kind und merkte das Blut nicht. Habe meinen Bruder gerettet und merkte das Stechen nicht. Sprang in die Schlucht und sah die Gefahr nicht. Das ist lange her. Es koennte nicht mehr passieren. Meine Knie sind zu zerschunden dafuer. Deswegen schlinge ich die Arme nicht um die Beine. Schlinge sie um die Brust. Hoere es pochen und atme nicht mehr. Ruecke es abermals ins rechte Licht. Dort wird es alt mit mir und weise. Mit dem Licht passiert dabei nichts, es wandert nur ein wenig weiter.
Ich habe nie danach gefragt.

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