Prosa

Dienstag, 17. Oktober 2006

Nele

Nele hatte ein großes Herz. Da tropfte es rein, wenn es regnete. Und es regnete oft, dort wo Nele wohnte.
An der See, sagte sie einmal, da sollte man sowieso nie ganz trocken sein, bemerkte dass sie ein Weinglas in der Hand hielt und lachte.
An der See, wo Nele lebte, trug sie gelbe Gummistiefel und einen Friesennerz, das hatte sie mal in einer Reisebroschüre gesehen, da war sie noch ganz wo anders gewesen. Es hatte Nele gefallen.
Nele mit dem goldenen Haar. Nele Blondschopf, die sich Zöpfe flocht und an den Spitzen kaute. Mutter hatte gesagt, dass man das nicht macht. Nele hatte sie ausgelacht.
Nele, Nele, hatte die Mutter geflüstert und war davongegangen. War wiedergekommen, bis zu dem Tag, an dem sie wegblieb. Für immer. Nele hat auch da an den Haarspitzen gekaut, die Ärzte irritierte das.
Nele, Nele, sagten auch die Leute an der See. Und Nele lachte. Lächelte. Schmunzelnele war sie dann. Steckte sich eine Weintraube in den Mund und es war gut.
Gut war generell immer alles. Auch das mit Neles Herz, das feucht und moderig war, dachte sie sich manchmal und fand das in Ordnung. Nahm manchmal Hände von fremden Männern und hielt sie darauf. Nele war nicht romantisch, sie tat nur so.
Nele schrieb Sätze die meist mit .ich. anfingen und nie zu einem Ende kamen. Enden, wer braucht die schon, meinte sie und ich sagte, ich brauche die und klappte das Buch zu.
Nele und ich gingen an den Dünen spazieren und sprachen nicht. Es tropft schon wieder, dachte ich und sah die See näher kommen. Nele lief die Dünen hinauf und nickte kurz. Das kam öfters vor.
Nele, Nele, sagte dann auch ich und ging den Weg weiter. Nele würde das schon verstehen.

Dein Atem in meiner Hand

Ich bin zu alt geworden, sagt sie. Zu alt um um den Häuserblock zu laufen. Ich kann die Vögel nicht mehr hören, es macht mich krank. Im Winter ist es kalt und er dauert zu lange. Sowie du zu weit weg erscheinst, wenn du im Garten die Hecken schneidest und verschwindest. Nur einen Moment. Das reicht.
Ich bin zu alt geworden und keiner hat es bemerkt, sagt sie. Zu alt um aufzustehen, wann ich will und deine Haare zu schneiden, wie ich will. Meine Hände sie zittern und mein Kopf ist wirr. Bette ich mich in deine Arme, ist es als könntest du mich wieder zum Tanzen ausführen. Ist es, als käme alles zu dem guten Ende, das wir vor Augen hatten, nur hab ich vergessen was das bedeutet.
Ich bin zu alt geworden, sagt sie. Älter als mir die Lerche sang. Was sie nie tat, ich weiß. Nicht mir. Ein wenig dir vielleicht, als du dich soweit aus dem Fenster gelehnt hast, nur um mir nachzusehen, wie ich auf dem Rad davonfuhr. Als ich wiederkam. Wir tranken Tee. Und sagten, es wäre besser gewesen, es nicht zu versuchen, aber lachten, weil wir es getan hatten.
Ich bin zu alt geworden, sagt sie. Wie konnte das passieren? Das Bild an der Wand, das bin ich nicht mehr. Das ist nur noch ein Hauch, zu weit weg, musst du wissen. Zu alt um sich zu drehen. Pirouetten, die konnte ich nie. Nur dich, dich um mich drehen und um dich selbst. Die Faust geballt, darin dein Atem.

Ich liebe dich, sagt er.

Jule und Gerhard

Jule und Gerhard spielen kein Fußball mehr. Seit Monaten schon nicht , sagen sie, wenn man sie danach fragt. Der Rasen will geschont werden. Die Straßen sind so oft nass. Die Schuhe haben Löcher. Der Ball gehört geflickt. Sagen sie auch.
Stattdessen sitzen sie viel in ihrer kleinen Küche, blicken beim Fenster hinaus und trinken Tee. Meist ist dieser grün, den schwarz haben sie sich verboten, danach sollte man aber nicht fragen. Jule trägt bunte Röcke, sie dreht sich oft im Kreis und lacht ein wenig schief, dabei sitzt sie dann nicht am Fenster und Gerhard macht manchmal ein Foto von ihr, ein Polaroid, irgendwann, meint er, werden all die Bilder eine Tapete ergeben. Eine Juletapete in einem Julezimmer, so stellt er sich das vor.
Man kann sie vom Hof aus sehen, wie sie am Fenster sitzen, man kann ihnen zu winken, man kann zu ihnen hinaufschreien, sie bemerken es meist nicht.
Wann das mit dem Fußball spielen angefangen hat, weiß keiner mehr so recht. Angeblich war es Jule, die im Hof in der Sonne lag und Dostojewski las, was ihr nie gut tat, die schrie, als sie der Ball traf, wahrscheinlich nur aus Verwunderung, weil sie nicht wusste, woher er kam. Angeblich war es Gerhard, der Jule da liegen sah, mit einem dicken Buch, der den Ball im Hauseingang fand und ihn nach ihr warf. Angeblich war es umgekehrt. Fest steht jedenfalls, dass Jule den Ball zurückschoss und Gerhard es ihr gleichtat, dass sie damit Stunden zubrachten und abends müde ins Bett fielen. Da die beiden seit Monaten nicht mehr mit einer solchen Müdigkeit schlafen gegangen waren, da daraufhin der beste Schlaf seit langem folgte, da sie begeistert waren vom Fußball, vom Wetter, vielleicht auch von sich selbst, beschlossen sie damit nicht mehr aufzuhören, nie mehr. Es sei denn, es gäbe einen Grund dafür.
Es ging nicht ums Gewinnen, bei dem Spiel und auch nicht ums Verlieren. Stattdessen mochte Jule es ins Schwitzen zu kommen und Gerhard die Tatsache immer ein wenig geschickter zu erscheinen, als sie.
Die anderen Hausbewohner gewöhnten sich schnell an sie. Kamen von der Arbeit heim und kickten zweimal kurz mit, lachten ein wenig, vielleicht weil die Kindheit eingezogen war, in dieses alte Haus, vielleicht weil sie ein wenig neidisch waren und es nicht zeigen wollten, vielleicht auch nur, weil sie nicht verstanden.
Aber Jule und Gerhard spielen nicht mehr. Nicht mehr an Werktagen und an den Wochenenden schon gar nicht. Jule hat mit dem Kuchenbacken angefangen und Gerhard mit dem Fensterstreichen, bald wird es Herbst werden, meinen sie und sind sich dabei nicht ganz sicher. Sie waren am Meer, gemeinsam, erzählten sie und toll soll es gewesen sein. Man will gar nicht fragen an welchem, es ist auch egal, es scheint das richtige gewesen zu sein. Am Meer, vermutet man, haben sie auch den Grund gefunden um mit dem fußball spielen aufzuhören, den Grund für den Schwarzteeentzug, den Grund für die Röcke und die gemeinsame Küche.
Jules Bauch wächst seit den Meertagen, sie glaubt das wisse keiner, sie ist sich dessen viel zu sicher. Doch ein jeder hat es verstanden. Am Abend, wenn langsam die Lichter in den Wohnungen angehen und Gerhard sie leise umarmt, weint sie ein wenig, blickt auf den Fußball in der Ecke.
Am Morgen schmeißen die Nachbarn ihnen Karten in den Postkarten. Wir hoffen es wird ein Stürmer, steht darauf, auch wenn es schneit. Da kann Jule wieder lachen und nicken, den Fußball aus dem Fenster schmeißen und die Schuhe dazu. Im nächsten Sommer, das weiß sie plötzlich, wird man das alles wieder finden.

Am Himmel hängt ein Mond

Ja. Schreibt er und sie hasst ihn in dem Moment. Trommelt auf die Tastatur, löscht Wörter und kann nicht anders, als zu fluchen.
Ja. Schreibt er und sie weiß, wie es sich anhört, wenn er es sagen würde. Wenn er neben ihr sitzen und an dem Weinglas nippen würde. Das alles tut nichts zur Sache, denkt sie. Lacht ein wenig. Das Lachen klingt einseitig, das hat er mal gesagt. Das ist aber schon lange her und sie hat es nie verstanden.
Am Bahnhof hätte sie gerne geweint, als er weg fuhr, aber konnte nicht. Konnte nicht auf das Fenster blicken oder auf den Boden. Sie hatte gar ein wenig Wut im Bauch und tippte sich mit dem Finger an die Stirn bevor sie davon lief, in das Gebäude hinein, in dem es eklig roch und der Obdachlose immer noch auf der Bank schlief.
Es war lange her und er war weggefahren. Sie erinnerte sich daran. Und an das nach Hause kommen und gar nichts tun und immer noch an die Wut im Bauch. An diese Scheißwut auf diesen Scheißkerl. Der sie angelächelt hatte aus dem Zug und in sein Brot gebissen hatte dann. Das sie ihm gestrichen und belegt hatte. Als alles schon vorbei war.
Ja. Schreibt er. Und sie weiß, dass er es so lange tun wird, bis sie etwas zurückschreibt. Sie weiß nur nicht, wie lange sie es aushält. Wie lange sie noch fluchen kann. Wie lange sie wieder warten wird. Wie es wäre und ob es wäre. Sie weiß es nicht und weiß es doch. Will es nicht wissen. Sieht aus dem Fenster. Verdammt. sagt sie. Verdammt. Sie trinkt nicht mehr aus dem Glas, sie nimmt die Flasche. Lacht dann wieder und es ist ihr egal ob es einseitig klingt.
Als sie ihm das letzte Mal schrieb, hatte sie geweint und ihn versucht anzurufen. Doch abgehoben hat er nie. Das wusste sie bereits vorher. Ist sie bei dir? hatte sie ihn gefragt und er schrieb, dass es keine sie gebe. Dass er alleine sei. Seit er weggefahren wäre. Dass er es nicht bereut. Noch immer nicht. Dass er sie dennoch vermissen würde. Ob ihr immer noch so kalt sei, am Morgen. Und sie bekam Kopfschmerzen vom auf den Bildschirm schauen und sich vorstellen, wie er das gleiche macht. Wie er den Telefonhörer nicht abnahm. Und an der Zigarette zog.
Ja. Schreibt er. Und sie rennt in die Küche. Schließt die Fenster, es hat angefangen zu regnen. Vielleicht sollte sie ihm einfach das schreiben und es dabei belassen. Nicht nachdenken. Schlafen gehen. Am Morgen frieren. Die Katze ist gestorben, das weiß er noch gar nicht.
Schon lange schrieb sie ihm keine Briefe mehr. Vielleicht nur, damit er nicht länger ein schlechtes Gewissen haben müsste, weil er nie antwortete. Immer nur über den Computer. Den sie immer noch laufen ließ. In der Nacht. Das hatte manche Männer verunsichert und sie hatte dann gar nichts gesagt. War ins Schlafzimmer verschwunden, bevor es Zeit war für Erklärungen und am Morgen früh aufgewacht. Am Bildschirm blinkte ein Brief. Immer mit der Frage, ob sie gut geschlafen hätte. Immer mit der Antwort: Nein. Die selbst wenn sie eine Lüge war, besser klang als manches andere.
Ja. schreibt er. Und sie setzt sich wieder vor den Computer. Fährt mit den Fingern über die Tastatur. Erinnert sich. Wie sie ihm schrieb, wie jeden Tag. Ob er es immer noch schön hätte, dort an der See. Und wie er antwortete, unverzüglich antwortete mit einem ja, wie jeden Tag. Und wie sie ihm schrieb, die gleiche Frage wie immer, die ihr nicht mehr unter den Fingern brannte, aber anderswo, deren Wortlaut: Kommst du zurück? lautete. Auf die er nie geantwortet hatte. Nie. Was sie weinen ließ und lachen und manchmal aus dem Haus rennen. Männer anrufen. Tanzen gehen. Den Morgen verschlafen. Und immer wieder zurück zu kehren. Zum Bildschirm. Den Worten. Die nie klangen, nicht nach ihm.
Und sie sieht auf den Bildschirm. Ja. steht da. Sie weiß nicht mehr wie oft. Sie stellt sich vor, wie er eine neue Katze kaufen wird. Im Sommer einen Strohhut tragen wird. Sie ansehen und ihr Haar küssen wird. Wie er aus dem Zug springen und in ihrer Wohnung landen wird. Wie sie ihn wieder lieben wird. Ein neues Kleid wird sie sich kaufen, wenn er wieder da sein wird, sie stellt sich vor, wie er es ihr ausziehen wird. So langsam, dass sie beinahe verrückt werden wird. Sie flucht nicht mehr dabei.
Als sie die Finger auf die Tastatur legt, ist es egal und der Abend noch jung. Sie tippt auf eine Taste nach der anderen. Wenn sie fertig ist wird sie das Fahrrad nehmen und im zickzack durch die Straßen fahren. Die Blumen aufs Vordach stellen. Einschlafen. Wo auch immer.
Und er wird auf den Bildschirm blicken und alles was er lesen wird ist:
Ich will das aber nicht.

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