Montag, 27. November 2006

Rita

Weil es schwierig ist, ruft sie mich nocheinmal an. Rita, sage ich und seufze. Da weint sie wieder. Weint und legt den Hörer auf die Seite. Rita, sage ich, alles ist in Ordnung.
Keiner isst Spaghetti so wie Rita, die schlürft und schmatzt dabei und die Sauce für den Schluss aufhebt. Trennkost nennt sie das dann und lächelt ein wenig. Ich lege ihr Servietten neben den Teller und stütze meinen Kopf auf die Hände. Wenn sie fertig gegessen hat, wird sie müde werden und ich werde ihr den Polster aufschütteln und gar nichts sagen. Es ist dann immer Dienstag. Und eigentlich gibt es dafür gar keine Zeit, aber die Zeit, sagt Rita, die ist ihr scheißegal, worüber ich immer den Kopf schüttle und mir auf die Lippe beiße.
Rita träumt oft vom Sommer, der dann doch nie kommt und erzählt mir, sobald sie aufwacht, wo sie baden war und in wen sie sich verliebt hat. Luca, heißt einer ihrer Helden. Irgendwann, so meint sie, wird sie ihn in der Straßenbahn treffen und alle anderen Männer, die ihr doch nur das schwache Herz brechen, wird sie vergessen. Bis dahin besucht Luca sie in ihren Sommerträumen, in denen sie Bananeneis lutscht und keine Schuhe trägt. Bis dahin werden die anderen Männer sie nur anlächeln brauchen, damit sie mit ihnen ausgeht, sich verliebt und früher oder später nicht nur dienstags vor meiner Tür steht und weint, schreit und manchmal ein wenig verzweifelt. Diese Männer nennt sie dann .graue Männer. weil sie ihr die Zeit gestohlen haben, die dann doch nicht mehr scheißegal ist und Rita beißt sich in die Hand, manchmal wird dann alles besser.
Rita liest Rilke, der ihr nicht gut tut und meint, dass er ein Luca für sie wäre, wenn er doch noch leben würde. Sowie Brahms oder Nick Drake. Das findet sie dann selber lächerlich und gibt es nicht zu, wird ein wenig rot und manchmal werfe ich mit der Zeitung nach ihr, was sie dann immer erschrickt, aber nicht zusehr.
Weil sich bei Rita immer alles um die Liebe dreht, aber die sich nicht um sie, ist immer alles ziemlich kompliziert. Die Liste mit den gestrichenen Telefonnummern ist lang, dass sie dort trotzdem noch anruft, gibt sie nicht zu. Dafür sieht sie mich an, nachdem sie geliebt, geweint, getobt und verlassen hat und fragt mich, wann es denn weiter geht bei mir. Was es nicht wird, und was sie genauso gut weiß, wie ich und ich sehe dann zu Boden und sage, sobald alles besser wird. Rita umarmt mich dann manchmal und nichts wird besser, doch vieles gut.
Martin hieß der letzte ihrer grauen Männer. Martin der Hunne, sagte sie immer. Weil er groß und rothaarig war und eigentlich doch Gustav heißen sollte, das hatte sie beschlossen, da kannten sie sich einen Tag. Martin sah ich nur zweimal, was eigentlich recht viel war, im Vergleich zu den anderen grauen Männern. Martin mochte mich nicht. Ich ihn auch nicht. Rita war das aber egal. Sie hatte ihn beim Joggen kennengelernt, wie sie das angestellt hatte, wagte ich nicht zu fragen. Wenn sie von ihm erzählte, fuchtelte sie mit den Händen in der Luft und holte immer tief Luft. Im Sommer segelt er, sagte sie, damit wollte ich doch auch schon immer anfangen. Wolltest du nicht, antwortete ich, aber sowas hörte Rita nie. Die beiden trafen sich 23 Tage lang, dann rief Martin sie an und sagte, dass er so nicht weitermachen könnte und auch nicht anders, jedenfalls nicht mit ihr. Und Rita hat ihn angeschrieen und das Telefon in die Ecke geschmissen, sowas hat sie in den Filmen gelernt. Und es hilft, meint sie, wirklich wahr.
Nachdem Rita, wie ich annehme, ihn doch noch zurückgerufen hat, um ihm zu sagen, wie furchtbar sie ihn nicht schon von Anfang an fand, rief sie mich an. Martin wurde dadurch zur Nummer 23 auf ihrer Liste, nach nur 23 Tagen, dass das nur Zufall wäre, glaubte sie mir nicht. Und wie sie schluchzte und mir erzählte in allen nur möglichen Ausschmückungen, wie er ihr das Herz gebrochen hatte. Wie sie schrie und bebte und ihre Stimme zitterte. Und wie ich schwieg die ganze Zeit hindurch, nur manchmal schaffte ich es zu einem ssshhh, was Rita aber nicht beruhigte und Martin wurde noch einmal zu dem Tollsten was ihr jemals passiert ernannt. Rita weinte dann wieder und alles wurde noch komplizierter. Völlig unerwartet, wie auch bei all den anderen Gesprächen dieser Art, bei denen sie immer leidet, als gäbe es kein Morgen, legte Rita dann auf. Um nocheinmal anzurufen, da doch alles schwierig ist. Und ich flüstere ihren Namen und sage, dass alles in Ordnung ist.
Das wird Rita aber nie verstehen, dass mit der Ordnung, schon gar nicht was ihre Gefühle angeht.
Es ist nie mittwochs, wenn sowas passiert, sagte sie einmal, als sie wieder Spaghetti aß. Und weißt du wieso, fragte sie. Nein. antwortete ich und nahm ihre Hand. Weil sie Angst vor Luca haben, sagte sie und lächelte. Und ich drückte ihre Hand ein wenig fester und reichte ihr Spaghetti nach.

~~~

Rita II

Rita trommelt mit ihren Händen auf die Oberschenkel. Verdammt nochmal, sagt sie und dass das doch so nicht geht. In dem Moment drehe ich mich zu ihr um. Rita weint wieder. Rita weint viel zu viel. Rita, sage ich, jetzt hör mal zu, so geht das nicht. Nicht mit dir und nicht mit uns. Lass es gut sein, Mädchen, ja? Und Rita schüttelt den Kopf, schluchzt, ist unglaublich theatralisch.
Wir sitzen im Park und es wird Frühling. Rita wollte Enten füttern und Frauen mit Kinderwägen sehen. Ich wollte die Sonne genießen, Ritas Hand nehmen und über Kies laufen. Der Schnee ist so gut wie weg, ihre Schuhe dennoch zu gewagt, weswegen wir doch nicht gelaufen sind, sie nicht und ich schon gar nicht. Weil das nicht geht, alleine über die Kieswege laufen und wissen, dass man wenn man stehenbleibt auf jemanden warten muss. Dann hat das keinen Sinn. Und Schuld sind die blöden Schuhe. Das wollte ich ihr alles sagen, doch Rita fängt wieder an zu weinen, weil die Enten zu einer alten Frau schwimmen und die Frauen so glücklich erscheinen, mit den Babys im Arm. Weil Rita ein Tintenherz am Unterarm hat und es verblasst, ohne dass er angerufen hat.
Das Tintenherz, um das außenrum gewaschen wird, weil er es so wollte und sich dennoch nicht meldet, seit drei Tagen. Und Rita die stolz ist, so stolz und ihn beschimpft und schreit, schreit und schimpft wie keine Zweite. Und ich kenne niemanden, der sich das sonst leisten könnte, ohne nicht vollkommen verrückt zu erscheinen.
Denn Rita erscheint immer nur wie sie selbst. Und das ist wohl das Problem. Auch in diesem Moment, in dem wir auf der Bank sitzen und nicht genügend Enten Ritas Brotkrumen toll finden und sie die dummen Tauben doch hasst und auch ein Kind haben will und nicht einsieht, dass sie doch selber noch viel zu viel Kind dafür ist.
Er hat noch 13 Stunden. Dann werd ich ihn vergessen. Und das Tintenherz auch. murmelt sie, dieses Scheißarschloch, ist doch wie alle anderen auch. Und ich denke an Ernst Jandl und sein Falken und Tauben Gedicht und ich erzähle es Rita, aber sie lacht nicht und mir reicht es langsam.
Rita, sage ich nochmal, das geht so nicht. Nicht mit deinem Weinen und deiner Verletzlichkeit. Ich ertrage das nicht mehr und du noch viel weniger. Aber Rita schweigt, weint wenigstens nicht mehr und blickt auf den Teich. Und ich versuche ihr zu erklären, dass Enten doch sowieso dumm sind und wir das nächste Mal nach Möwen und Schwänen suchen werden und dass Tintenherzen niemanden was bringen, dass sie die Seife nehmen soll und weg damit. Danach sitzen wir beide schweigend da.
Es sind 8 Mütter die an uns vorbeiziehen und ich sehe Rita bei jeder an und weiß genau, dass sie überlegt, wie die Kinder heißen könnten. Und ich weiß ebenso genau, dass sie die Jungen doch immer nur Luca und die Mädchen Merle nennt. Was Blödsinn ist, denn niemand heißt hier so. Und es ist Frühling, denke ich mir und nehme wieder Ritas Hand, sie wehrt sich nicht und blickt zu Boden.
Kurz danach springt Rita auf, lauft davon, versucht es zumindest und ich lasse das geschehen, nehme ihr Brotkrumensackerl und stehe erst auf, als ich sie nicht mehr sehe.
Ich schreibe ihr einen Brief als ich zuhause ankomme. Er handelt vom über den Kies rennen und vom Prioritäten setzen. Er ist selbstgerecht und unüberlegt. Ich finde in dem Moment, dass das zu ihr passt. Ich finde mich lächerlich, sobald ich ihn in den Briefkasten geworfen haben.
Rita wird ihn nie erwähnen.

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